Empfehlungen und Prüffragen zur Auswahl von Instrumenten/Verfahren

Zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung gibt es ein breites Spektrum an Instrumenten und Verfahren, die verschiedenen betrieblichen Gegebenheiten und Bedürfnissen Rechnung tragen. Viele Unfallversicherungsträger, aber auch staatliche Arbeitsschutzbehörden, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände halten Handlungshilfen, Instrumente und Verfahren bereit.* Es ist empfehlenswert, solche Angebote zu prüfen und soweit passend zu nutzen.

Ein Betrieb steht vor der Aufgabe, sich für Vorgehensweisen und Instrumente zu entscheiden, die zu den betrieblichen Gegebenheiten und Bedürfnissen passen. Es ist empfehlenswert, hierzu Beratung und Unterstützung bei dem zuständigen Unfallversicherungsträger oder bei der zuständigen Arbeitsschutzbehörde nachzufragen. Auch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften bieten ihren Mitgliedern Informationen und Beratung zum Thema an.

Wir empfehlen Betrieben, bei der Auswahl eines Instruments/Verfahrens die Qualitätsgrundsätze sowie die nachstehenden Prüffragen und Empfehlungen zu berücksichtigen.

* Eine Übersicht bietet u. a. das Ergebnis einer Abfrage vorhandener Instrumente aus dem Jahr 2016, die im Internet zugänglich ist: https://www.gda-portal.de/DE/Downloads/pdf/Psychische-Belastung-Gefaehrdungsbeurteilung-4-Auflage.pdf

Welche Methode oder Methodenkombination wird bevorzugt?

Gefährdungen durch psychische Belastung können anhand von Analyseworkshops, Beobachtungsinterviews oder Mitarbeiterbefragungen ermittelt und beurteilt werden. Jede dieser Vorgehensweisen hat spezifische Stärken, aber auch spezifische Voraussetzungen und Grenzen, die abzuwägen sind (siehe nachstehende Übersicht).

Es gilt, Vor- und Nachteile der Methoden im Auswahlprozess mit Blick auf die eigenen Bedürfnisse und Anforderungen abzuwägen. Bei der Auswahl in Betracht zu ziehen ist aber auch, mit welchen der Vorgehensweisen schon gute Erfahrungen im Betrieb gemacht wurden, auf welche betrieblichen Strukturen und Kompetenzen aufgebaut werden kann.

Übersicht: Stärken und Grenzen der Vorgehensweisen im Überblick

Analyseworkshops

VorgehenStärkenVoraussetzungen/Grenzen
Beschäftigte ermitteln und beurteilen die Gefährdung durch psychische Belastung gemeinsam mit Führungskräften und fachkundigen Experten/innen im betrachteten Bereich.
  • starke Bezugnahme auf Erfahrungen der betroffenen Beschäftigten und Führungskräfte ermöglicht feinkörnige Beschreibungen konkreter Arbeitsanforderungen und ‑bedingungen, von denen eine Gefährdung durch psychische Belastung ausgeht
  • Für ermittelte Gefährdungen kann im Workshop beurteilt werden, welche Maßnahmen zu ihrer Vermeidung bereits bestehen oder weitergehend ergriffen werden müssen
  • vertrauensvolle Atmosphäre und offene Gesprächskultur sind erforderlich
  • Verzerrungen durch Dynamiken der Gruppendiskussion möglich (zum Beispiel Dominanz von „Platzhirschen“, vorrangige Thematisierung von „Hier-und-Jetzt“‑Problemen)
  • fachkundige Moderation erforderlich, ggf. durch externe Moderatoren

Beobachtungsinterview

VorgehenStärkenVoraussetzungen/Grenzen
Geschulte Personen ermitteln und beurteilen die Gefährdung durch psychische Belastung auf Basis ihrer Beobachtungen der Tätigkeit, i. d. R. ergänzt um (Kurz-)Interviews mit den dort Beschäftigten
  • Ermöglicht die Ermittlung und Beurteilung der Gefährdung durch psychische Belastung bei der Arbeit unabhängig vom Erleben des/der Beschäftigten
  • Ermöglicht je nach Verfahren feinkörnige Beschreibungen konkreter Arbeitsanforderungen und ‑bedingungen, von denen eine Gefährdung durch psychische Belastung ausgeht
  • Objektivierung von Analyseergebnissen durch Einsatz von Analyseteams
  • Schulung der Beobachter/innen notwendig
  • Beobachtbarkeit von Arbeitsanforderungen/‑bedingungen, von denen eine Gefährdung durch psychische Belastung ausgeht, muss gegeben sein
  • Vergleichsweise hoher zeitlicher Aufwand, wenn sehr viele unterschiedliche Tätigkeiten/Bereiche betrachtet werden müssen
  • Je nach Verfahren sind ggf. weitergehende Problemspezifikationen und Feinanalysen zur Maßnahmenplanung erforderlich (z. B. in Workshops).

Mitarbeiterbefragung

VorgehenStärkenVoraussetzungen/Grenzen
Beschäftigte geben in standardisierten Fragebögen an, inwieweit mit ihrer Tätigkeit Arbeitsanforderungen und ‑bedingungen vorliegen, bei denen von einer Gefährdung durch psychische Belastung auszugehen ist.
  • ermöglicht Einbeziehung aller Beschäftigten
  • ermöglicht Erfassung eines breiten Spektrums von Arbeitsanforderungen und ‑bedingungen, die für die Ermittlung von Gefährdungen durch psychische Belastung relevant sind
  • eignet sich insbesondere für Überblick und Bestimmung von Problemschwerpunkten
  • Objektivierung der Befragungsergebnisse durch Befragung aller Beschäftigten
  • zur Sicherung der Anonymität Mindestgröße pro Auswertungseinheit erforderlich
  • sollten sich aus der Befragung Hinweise auf Gefährdungen ergeben, müssen diese für die Maßnahmenplanung in der Regel konkretisiert werden (z. B. im Workshop/Analyseteam oder durch Beobachtungsinterviews)
  • hinreichende Beteiligung für aussagefähige Daten erforderlich

 

Soll zunächst ein erster Überblick über die Gefährdung durch psychische Belastung gewonnen werden oder soll die Gefährdungsbeurteilung möglichst detailliert sein?

Grundsätzlich ist es empfehlenswert, sich zunächst einen Überblick über die mit der betrachteten Tätigkeit verbundenen Arbeitsanforderungen und -bedingungen zu verschaffen. In einem ersten Schritt können dazu vorhandene betriebliche Dokumente, wie z. B. Arbeitsplatzbeschreibungen, Organigramme oder Dokumentationen von Arbeitszeiten herangezogen werden.

Zur Ermittlung der Gefährdung durch die mit der Arbeit verbundene psychische Belastung können standardisierte Mitarbeiterbefragungen oder Prüf- und Checklisten, Beobachtungsinterviews oder Analyseworkshops eingesetzt werden. Mitarbeiterbefragungen und Prüflisten bieten die Möglichkeit, ein vergleichsweise breites Spektrum von Arbeitsanforderungen und -bedingungen zu erfassen. Auf dieser Grundlage können Gefährdungen ermittelt und Schwerpunkte der weitergehenden Analyse gesetzt werden. Ergeben sich Hinweise auf konkrete Gefährdungen, gilt es, diese für die Beurteilung und Maßnahmenplanung weitergehend zu konkretisieren (zum Beispiel in Workshops oder mittels Beobachtungsinterviews). Dieser Folgeschritt sollte in der Gesamtplanung berücksichtigt werden.

Workshops oder auch detaillierte Beobachtungsinterviews sind empfehlenswert, um mit den betroffenen Beschäftigten und Führungskräften konkrete Arbeitsanforderungen und -bedingungen zu analysieren, von denen eine Gefährdung ausgeht. Entsprechend gestaltete Verfahren ermöglichen Analysen der Ursachen und Auftretensbedingungen kritischer Belastungssituationen und bieten Anknüpfungspunkte für die Beurteilung der davon ausgehenden Gefährdung und für die Entwicklung von Maßnahmen zur Gefährdungsvermeidung.

Je nach Zielsetzung kann es demnach empfehlenswert sein, Kombinationen von Instrumenten und Verfahren einzusetzen, z. B. standardisierte Prüflisten und Mitarbeiterbefragungen zur Ermittlung von Gefährdungen und Workshops zur Analyse von Auftretensbedingungen und Gestaltungsoptionen zur Gefährdungsvermeidung.

Berücksichtigen die Instrumente/Verfahren die für die zu beurteilenden Tätigkeiten/Bereiche relevanten Gefährdungen durch psychische Belastung?

In der Gefährdungsbeurteilung sind Gefährdungen durch psychische Belastung zu berücksichtigen, die bei der Arbeit im konkret zu betrachtenden Arbeitsbereich auftreten können.

Instrumente und Verfahren sollten grundlegenden Gestaltungsanforderungen an Arbeitsintensität, Arbeitszeit, Handlungsspielraum und sozialen Beziehungen und Arbeitsumgebungsbedingungen, wie sie in Kap. 2 beschrieben sind, Rechnung tragen. Weiterhin sollten Instrumente und Verfahren, die zur Gefährdungsbeurteilung spezifischer Tätigkeiten oder Aspekte entwickelt wurden, hierfür bestehende Vorschriften und Regeln berücksichtigen (so sollten bspw. Instrumente/Verfahren zur Beurteilung der Gefährdung bei der Verwendung von Arbeitsmitteln diesbezüglich vorhandene technische Regeln zur Betriebssicherheit berücksichtigen).

Es ist empfehlenswert, Instrumente in die nähere Auswahl einzubeziehen, die für die eigene Branche entwickelt wurden oder für die Berufsgruppe, deren Tätigkeit beurteilt werden soll. Solche Instrumente ermitteln in der Regel eine begründete Auswahl von Gefährdungen durch psychische Belastung, die für die spezielle Branche oder Berufsgruppe relevant sind.

Haben sich die Instrumente/Verfahren für die Zwecke der Gefährdungsbeurteilung praktisch bewährt?

Es ist grundsätzlich empfehlenswert, auf Instrumente und Verfahren zurückzugreifen, die für die Zwecke der Gefährdungsbeurteilung entwickelt wurden und sich für diese Zwecke praktisch bewährt haben (ausgewiesen durch betriebliche Referenzen bzw. Praxisbeispiele). Dabei sind die spezifischen betrieblichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anwendung zu berücksichtigen. Insbesondere, wenn passende praxisbewährte Instrumente und Verfahren nicht vorhanden sind, kann es auch empfehlenswert sein, eigene Instrumente und Verfahren zu entwickeln oder vorhandene Instrumente an die jeweiligen besonderen Bedürfnisse des Betriebs anzupassen. Dies erfordert allerdings entsprechende Methoden- und Fachkompetenzen.

Welchen sonstigen betriebsspezifischen Anforderungen sollen die Instrumente/Verfahren genügen?

Je nach spezifischen Voraussetzungen und Bedürfnissen im Betrieb können weitere Anforderungen für die Auswahl bedeutsam sein, zum Beispiel:

  • Erforderlicher Vorbereitungs- und Schulungsaufwand im Vorfeld der Verfahrensanwendung.
  • Erforderlicher zeitlicher und personeller Aufwand bei der Verfahrensanwendung; Umfang.
  • Kosten durch ggf. erforderliche Schulungen, Leistungen externer Dienstleister und/oder Nutzungs- und Lizenzgebühren.
  • (Langfristige) Zugänglichkeit und Nutzbarkeit des Instrumentes/Verfahrens für die Zwecke der Gefährdungsbeurteilung.
  • Verfügbarkeit von Beratungs- und Unterstützungsangeboten zum Instrument/Verfahren (zum Beispiel durch spezialisierte Dienstleister oder in spezifischen Anwendernetzwerken)
  • EDV-Unterstützung, Software zur Erfassung und Auswertung der Daten, Integration in bestehende EDV-Systeme.
  • Verfügbarkeit von Übersetzungen in andere Sprachen.